Friedrich Schiller – nicht gerade bekannt als Autor von Kürzestgedichten – hat mit „Der Handschuh“ ein zeitloses Gedicht über die Liebe geschrieben. Es handelt von einem Ritter, der, unter Todesgefahr, den wohl absichtlich in eine Arena voller wilder Bestien geworfenen Handschuh seiner Geliebten zurückholt, nur um ihn ihr dann ins Gesicht zu pfeffern.
Dieses Gedicht gehört zu den bekanntesten Werken deutscher Lyrik – hier finden Sie mehr berühmte Gedichte.

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Auf dieser Seite finden Sie den Text des Gedichts und einige persönliche Anmerkungen. Hier finden Sie Schillers berühmte „Glocke“ und hier noch weitere Werke des schillernden Lyrikers.
Und hier noch mehr Gedichte über die Liebe.
Viel Spaß!
Das Gedicht
Der Handschuh
Vor seinem Löwengarten,
Das Kampfspiel zu erwarten,
Saß König Franz,
Und um ihn die Großen der Krone,
Und rings auf hohem Balkone
Die Damen in schönem Kranz.
Und wie er winkt mit dem Finger,
Auf tut sich der weite Zwinger,
Und hinein mit bedächtigem Schritt
Ein Löwe tritt,
Und sieht sich stumm
Rings um,
Mit langem Gähnen,
Und schüttelt die Mähnen,
Und streckt die Glieder,
Und legt sich nieder.
Und der König winkt wieder,
Da öffnet sich behend
Ein zweites Tor,
Daraus rennt
Mit wildem Sprunge
Ein Tiger hervor.
Wie der den Löwen erschaut,
Brüllt er laut,
Schlägt mit dem Schweif
Einen furchtbaren Reif,
Und recket die Zunge,
Und im Kreise scheu
Umgeht er den Leu
Grimmig schnurrend;
Drauf streckt er sich murrend
Zur Seite nieder.
Und der König winkt wieder,
Da speit das doppelt geöffnete Haus
Zwei Leoparden auf einmal aus,
Die stürzen mit mutiger Kampfbegier
Auf das Tigertier,
Das packt sie mit seinen grimmigen Tatzen,
Und der Leu mit Gebrüll
Richtet sich auf, da wirds still,
Und herum im Kreis,
Von Mordsucht heiß,
Lagern die greulichen Katzen.
Da fällt von des Altans Rand
Ein Handschuh von schöner Hand
Zwischen den Tiger und den Leun
Mitten hinein.
Und zu Ritter Delorges spottenderweis
Wendet sich Fräulein Kunigund:
»Herr Ritter, ist Eure Lieb so heiß,
Wie Ihr mirs schwört zu jeder Stund,
Ei, so hebt mir den Handschuh auf.«
Und der Ritter in schnellem Lauf
Steigt hinab in den furchtbarn Zwinger
Mit festem Schritte,
Und aus der Ungeheuer Mitte
Nimmt er den Handschuh mit keckem Finger.
Und mit Erstaunen und mit Grauen
Sehens die Ritter und Edelfrauen,
Und gelassen bringt er den Handschuh zurück.
Da schallt ihm sein Lob aus jedem Munde,
Aber mit zärtlichem Liebesblick –
Er verheißt ihm sein nahes Glück –
Empfängt ihn Fräulein Kunigunde.
Und er wirft ihr den Handschuh ins Gesicht:
»Den Dank, Dame, begehr ich nicht«,
Und verläßt sie zur selben Stunde.

Einige Gedanken zum „Handschuh“
Ich kann mich noch gut erinnern, wie ich Schillers „Handschuh“ im Deutschunterricht in der Schule gelesen habe. Irgendwie ist das Gedicht hängengeblieben – aber warum? Achtung, jetzt kommen eher unprätentiöse Gedanken zum Gedicht.
Vielleicht weil ich mich gewundert habe, wie modern der Text aus heutiger Sicht klingt und das obwohl die schöne Dame Kunigunde heißt. Können Sie sich eine hübsche Dame vorstellen, die so attraktiv und begehrenswert ist, dass sie überhaupt auf die Idee kommt, ein edler Ritter würde nur so zum Spaß sein Leben für sie auf’s Spiel setzen – und diese Dame heißt Kunigunde? Nein, wahrscheinlich nicht. Es war eine Zeit, in der Knechte noch bei den Schweinen schliefen und das einzige Licht von Kerzen und Fackeln kam, Menschen auf Burgen gelebt haben und sich die Sonne gerade erst aufgehört hatte, um die Erde zu drehen. Eine Zeit eben, in der Frauen noch zwanglos und satirefrei Kunigunde hießen –
Und in dieser mittelalterlichen Zeit waren die Menschen schon so wie heute. Sie hätten genauso TikTok-Challenges mitgemacht, um das andere Geschlecht zu beeindrucken, hätten sich heiße Karren mit tiefliegenden Karosserien und bellenden Auspuffen gekauft, haben Rotz und Wasser wegen verschmähter Liebe geheult und haben, zumindest beim gemeinen Volk, wohl schon genauso über arrogante Fräuleins abgekotzt wie der Ritter hier im Handschuh. Der Ritter hätte wahrscheinlich auch das Wort „abgekotzt“ genutzt, wenn er seinen Freunden eine WhatsApp-Nachricht geschickt hätte.
Das ist das Schöne an der Literatur und Lyrik vergangener Zeit: Man sieht darin immer wieder, dass der Mensch schon lange so dumm und dämlich ist, wie heute, abgesehen davon, dass uns eine weitgehende Säkularisierung und ein paar technische Revolutionen von früher trennen.
Der Ritter Delorges könnte Ihr Großvater sein, und er war wahrscheinlich genauso ein gehobelter oder ungehobelter Kerl, wie Sie. Er wurde nur etwas früher geboren.

Wo Sie schon mal hier sind…
Gönnen Sie sich doch ein paar Gedichte aus der Feder des Gedichtefreunds.
Ang und Ein
Wird das Leben dir zu lang
fühlst statt Freude du nur Angst und Bang
hast du zu Traurigkeit nen Hand
ist dein Lieblingssound ein Molltonklang?
Dann spring doch einmal mittenmang
in eine Schüssel Pudding rein!
Das hilft vielleicht nicht allzu viel.
Aber es scheint, als könnt’s nicht schlimmer sein.
Zu schnell
Zum Beispiel dieser Mann:
Er ist grau und alt und eingefallen
das Gulasch läuft ihm aus dem Maul.
Man hört sein Schmatzen durch die Flure hallen
er heißt Gustav, oder Paul.
Viel ist nicht von ihm geblieben
ob er eins klug? Ich weiß es nicht.
Er spring nicht mehr, brummt höchstens nur.
Geschichtenlos ist sein Gesicht
und mein Gott, was ist er stur!
Das geht mir alles viel zu schnell
ein bisschen Grau schon auch in mir –
das letzte Licht mir noch zu grell
ich hoff‘ ich bleibe doppelt hier.
