Anette von Droste-Hülshoff: Der Knabe im Moor

„Der Knabe im Moor“ ist das bekannteste Gedicht der vielleicht bekanntesten deutschen Dichterin Annette von Droste-Hülshoff. Es stammt aus dem Jahr 1842 und beschreibt in der schaurigen Wanderung eines Jungen durch ein düsteres Moor einen Aspekt der Beziehung zwischen Mensch und Natur.

Dieses Gedicht gehört zu den bekanntesten Werken deutscher Lyrik – hier finden Sie mehr berühmte Gedichte.

Eine Moorlandschaft, ohne Knaben allerdings, jedoch mit Dunst und Nebel.
O schaurig ist’s übers Moor zu gehn,
Wenn es wimmelt vom Heiderauche …
Foto von Vera Gorbunova auf Unsplash

Hier lesen Sie das Gedicht in voller Länge und einige Gedanken dazu. Mehr Gedichte von Annette von Droste-Hülshoff finden Sie hier, schaurige Lyrik finden Sie bei den Halloweengedichten.

Und hier gibt es mehr Gedichte über die Natur.

Viel Spaß!

Das Gedicht

O schaurig ist’s übers Moor zu gehn,
Wenn es wimmelt vom Heiderauche,
Sich wie Phantome die Dünste drehn
Und die Ranke häkelt am Strauche,
Unter jedem Tritte ein Quellchen springt,
Wenn aus der Spalte es zischt und singt! –
O schaurig ist’s übers Moor zu gehn,
Wenn das Röhricht knistert im Hauche!

Fest hält die Fibel das zitternde Kind
Und rennt, als ob man es jage;
Hohl über die Fläche sauset der Wind –
Was raschelt drüben am Hage?
Das ist der gespenstische Gräberknecht,
Der dem Meister die besten Torfe verzecht;
Hu, hu, es bricht wie ein irres Rind!
Hinducket das Knäblein zage.

Vom Ufer starret Gestumpf hervor,
Unheimlich nicket die Föhre,
Der Knabe rennt, gespannt das Ohr,
Durch Riesenhalme wie Speere;
Und wie es rieselt und knittert darin!
Das ist die unselige Spinnerin,
Das ist die gebannte Spinnenlenor‘,
Die den Haspel dreht im Geröhre!

Voran, voran! Nur immer im Lauf,
Voran, als woll es ihn holen!
Vor seinem Fuße brodelt es auf,
Es pfeift ihm unter den Sohlen,
Wie eine gespenstige Melodei;
Das ist der Geigemann ungetreu,
Das ist der diebische Fiedler Knauf,
Der den Hochzeitheller gestohlen!

Da birst das Moor, ein Seufzer geht
Hervor aus der klaffenden Höhle;
Weh, weh, da ruft die verdammte Margret:
„Ho, ho, meine arme Seele!“
Der Knabe springt wie ein wundes Reh;
Wär nicht Schutzengel in seiner Näh,
Seine bleichenden Knöchelchen fände spät
Ein Gräber im Moorgeschwele.

Da mählich gründet der Boden sich,
Und drüben, neben der Weide,
Die Lampe flimmert so heimatlich,
Der Knabe steht an der Scheide.
Tief atmet er auf, zum Moor zurück
Noch immer wirft er den scheuen Blick:
Ja, im Geröhre war’s fürchterlich,
O schaurig war’s in der Heide.

Gedanken zum Gedicht

Sind Sie schon mal durch ein Moor gelaufen? Selbst am hellichten Tage kann es einem da mulmig werden. Hier in der Nähe ist gleich eins und ich würde da nur ungern im Dämmerlich durchjoggen – wenn ich spät jogge laufe ich immer andere Wege – und das mitten in der Stadt.

Insofern verstehe ich ganz automatisch, worum es in dieser Ballade geht: Um eine ganz nachvollziehbare Angst, die der Knabe dort im Moor verspürt.

Die erste Strophe setzt direkt die Stimmung und lässt uns gar nicht selbst anhand der grandios gewählten Worte herausfinden, was wir fühlen sollen: Wir sollen Schauer fühlen! Denn schaurig ist’s im Moor. Die sehr lebendige Sprache (die Ranke häkelt, das Quellchen springt, es zischt und singt aus den Spalten) lässt uns den Heiderauch selber riechen, den feuchten Dunst selbst auf dem Gesichte spüren und das Knistern des Röhrichts ganz nah an unserem Ohr hören. Phänomenaler Einstieg. Und die Wiederholung des „Schaurig ist’s über’s Moor zu gehen“ in der vorletzten Zeile – supergut.

Das Kind hält sich an der Fibel fest, wohl die Schulfibel, aus der es die Wahrheiten und Realitäten des Lebens lernt – als wollte es sich dadurch an der Realität selbst festhalten, statt sich den Illusionen hinzugeben, die das Moor produziert.

Grausige Gestalten sieht es, Gräberknechte, den Geigenmann und die Spinnenlenor – wer das alles sein mag? Wir wissen es nicht, müssen es aber auch nicht wissen, denn schon rennen wir mit dem Knaben als ob man uns jage über das Moor.

Wer kennt das Gefühl nicht mehr, aus der eigenen Kindheit? Ich erinnere mich, wie meine Eltern sich mal im Herbst verspäteten, mich vom Fußballtraining aus der dörflichen Sporthalle abzuholen. Es war nass, kalt und stürmisch (wie der Herbst eben so ist) und längst dunkel. Es war nicht weit nach Hause und ich machte mich mit meinem Turnbeutel auf dem Rücken selbst auf den Weg. Erst fünfzig Meter gelaufen, sah ich schon aus der Ferne einen Tumult auf dem Bürgersteig – was war da los? Ich traute mich einige Schritte voran – es war schließlich der Heimweg – bis ich die Schemen zweier gewaltiger dunkler Ratten erkannte, die sich dort auf dem Trottoir miteinander bis auf den Tod bekämpften. Ich stieß einen Schrei aus und rannte zurück zur Turnhalle. Dort empfing mich meine Mutter, die gerade angekommen war und mich ins Auto verlud. Wir fuhren an dem Bürgersteig mit den noch immer kämpfenden Ratten vorbei. Vorsichtig lugte ich auf dem Rücksitz aus dem Fenster: Es waren keine Ratten. Es war eine weggeworfene Zeitung, deren aufgefaltete Blätter sich im Sturm über den Bürgersteig wälzten.

Dementsprechend fühle ich mich dem Knaben im Moor absolut verbunden: Zurückblickend sieht die Heide vielleicht nicht mehr ganz so garstig aus, wie in dem Moment, als man sie durchschritt. Und doch:

Im Geröhre war’s fürchterlich,
O schaurig war’s in der Heide.

Eine etwas seriösere Gedichtanalyse finden sie zum Beispiel bei der Wikipedia.

Ein freundlicher Herr

Der Vampir zeigt seine Zähne,
er lächelt, sagt, er sei Rumäne,
man möge ihm doch gern verzeihen;
doch würde man sich nun einreihen
in die Gruppe, die da „Opfer“ heiße:
weil er nun höflich in den Halse beiße.
Und er dann mit vollem Munde spricht:
Widerrede gäb‘ es nicht.
Dann sinkt man hin, ganz bluteleer,
der Vampir rülpst laut: „Was will man mehr?“

Der Knabe im Wald

Geh‘ durch den Wald
doch dreh dich nicht um,
dreh dich nicht.
Doch bald, der Rücken:
Er kribbelt
er kitzelt
er sticht.
Etwas scheint da
etwas scheint nah
da vorn in dieser Richtung:
der Wald wird heller
eine Lichtung!
der Bub‘ wird schneller.
Er rennt durch den Wald
doch dreht sich nicht um,
dreht sich nicht
doch der Rücken
er beißt
er kratzt
er sticht
etwas ist da
etwas ist nah
es rührt ihn fast – –
dann stolpert er über einen Ast
fällt hin, und, unabsichtlich, sieht er sich um.
Da ist nichts.
Der Junge fühlt sich dumm.