„Von guten Mächten wunderbar geborgen“

Kaum ein deutsches Gedicht ist gleichzeitig so bekannt und hat eine derart tiefgreifende Bedeutung – sowohl literarisch als auch historisch – wie Dietrich Boenhoeffers „Von guten Mächten wunderbar geborgen“. Bonhoeffer, ein Theologe und Widerstandkämpfer gegen das Naziregime, hat es 1944 in Gestapo-Haft verfasst, nur wenige Monate vor seiner Hinrichtung.

Dieses Gedicht gehört zu den bekanntesten Werken deutscher Lyrik – hier finden Sie mehr berühmte Gedichte.

Es ist unklar, ob man in den Wolken, die hier von oben zu sehen sind, von guten Mächten wunderbar geborgen ist - aber in der friedlichen Ästhetik des Fotos wirkt es zumindest so.
Gott ist mit uns am Abend und am Morgen
und ganz gewiss an jedem neuen Tag.

Foto von Kaushik Panchal auf Unsplash

Lesen Sie hier den Text des Gedichts und einige Gedanken dazu. Hier finden Sie das Lied nach Siegfried Fietz und hier einige Naturgedichte, die vielleicht nicht so christlich sind wie Bonhoeffers Werk, aber ebenfalls die Schöpfung bewundern.

Das Gedicht

Von guten Mächten treu und still umgeben,
behütet und getröstet wunderbar,
so will ich diese Tage mit euch leben
und mit euch gehen in ein neues Jahr.

Von guten Mächten wunderbar geborgen,
erwarten wir getrost, was kommen mag.
Gott ist mit uns am Abend und am Morgen
und ganz gewiss an jedem neuen Tag.

Noch will das Alte unsre Herzen quälen,
noch drückt uns böser Tage schwere Last,
ach, Herr, gib unsern aufgescheuchten Seelen
das Heil, für das Du uns bereitet hast.

Von guten Mächten wunderbar geborgen,
erwarten wir getrost, was kommen mag.
Gott ist mit uns am Abend und am Morgen
und ganz gewiss an jedem neuen Tag.

Lass warm und still die Kerzen heute flammen,
die Du in unsre Dunkelheit gebracht,
führ, wenn es sein kann, wieder uns zusammen.
Wir wissen es, Dein Licht scheint in der Nacht.

Von guten Mächten wunderbar geborgen,
erwarten wir getrost, was kommen mag.
Gott ist mit uns am Abend und am Morgen
und ganz gewiss an jedem neuen Tag.

Einige Gedanken zum Gedicht

Es fällt mir etwas schwer, Gedanken zu diesem Gedicht zu äußern, zumindest schwerer als sonst. Das liegt einerseits daran, dass ich mir bei anderen berühmten deutschen Gedichten an dieser Stelle erlaube, etwas unernst, mitunter sogar albern zu sein. Das passt hier nicht wirklich rein.

Der zweite Grund, aus dem es mir schwerfällt ist, dass ich mich mit unserer Geschichte deutlich schlechter auskenne, als ich es vielleicht müsste – so wusste ich zwar, dass Bonhoeffer in Gestapo-Haft starb, aber nicht wirklich, warum: Erst die Wikipedia-Seite öffnete mir die Augen, dass er wohl nicht nur Flugblätter verteilt und in mancher Predigt gegen das Naziregime gesprochen hat, sondern noch viel mehr getan hat, was ihn zum wahrscheinlich Drittbekanntesten Widerstandkämpfer gemacht hat (das ist nur mein persönlicher Eindruck, nach den Geschwistern Scholl und dem Graf von Stauffenberg).

Der dritte Grund ist, dass ich – egal, wie sehr ich mich anstrenge – noch zehntausend Gedichte schreiben kann: Diese werden nie auch nur annähernd einen Status erreichen, wie „Von guten Mächten wunderbar geborgen“. Das gleiche gilt auch für alle anderen berühmten Gedichte, die ich so bespreche, aber hier liegt die Sache trotzdem irgendwie anders. Denn wahrscheinlich geht es mir dabei eigentlich nicht um das Lyrische, was unerreichbar ist, sondern um die Umstände. Der Mann war nicht nur ein tief gläubiger Mensch, und ein in gewisser Weise virtuoser Dichter – der Mann war ein Held. Heldentum, auf das ich in diesem Leben für mich wahrscheinlich nicht zählen darf. Was ich auch nicht will. Es erweckt einfach Ehrfurcht, dieses Gedicht im Kontext seiner Erschaffung zu lesen.

Eine Sache möchte ich trotzdem besprechen: Den göttlichen Aspekt. Wenn Sie gläubig sind, müssen wir gar nicht viel darüber reden, denn es gibt kaum ein Gedicht, das es tiefer in den christlichen Kanon geschafft hat, als dieses (auch das ist wiederum nur mein Eindruck – sehen Sie das anders?). Aber wenn Sie kein Christ sind, vielleicht geht es Ihnen wie mir, wenn Sie dieses Gedicht lesen: Und sie wären gerne einer.

Immer wieder schaffen es Kunstwerke aus der Literatur, der Musik oder anderen Richtungen, dass ich mir wünschen würde, ein Christ zu sein. Oder zumindest gläubig zu sein. Daran zu glauben, dass da jemand ist, der uns unendlich sanft in seinen Händen hält. Denn ich kann mir nur vorstellen, wie viel Trost in diesen Worten stecken muss, wenn das Leben mit seinen Schattenseiten, vor allem seinem Ende konfrontiert. Dass es nicht einfach vorbei ist, wenn es vorbei ist.

Wir Ungläubigen suchen einen Sinn in all dem Leid, das die Welt bereithält. Hoffentlich finden wir ihn.

Bonhoeffer hat gelitten, wahrscheinlich weniger als an seinem eigenen Los, als an dem der Welt zu seiner Zeit. Er hat Maßnahmen getroffen, um dieses Leid zu lindern. Das hat ihn selbst das Leben gekostet. Aber er wusste: Gott ist mit ihm, am Abend und am Morgen. Und ganz gewiss an jedem neuen Tag…

Wo Sie schonmal hier sind…

Lesen Sie doch noch ein Gedicht aus der Feder des Gedichtefreunds.

Wie es richtig

Man sagt, er sei so unergründlich.
Andere, dass er sekündlich
unser aller Wege lenkt.
Was er sich wohl dabei denkt?

Man sagt, er sei sogar allmächtig.
Auch, dass er allnächtlich
unsren guten Schlaf bewacht.
Was hat ihn dazu gebracht?

Man sagt, er sei unendlich gütig.
Auch, dass ihr alle demütig
ihm gegenüberstehen sollt.
Hat er das überhaupt gewollt?

Manch einer sagt, er sei nicht wahr.
Ein And’rer, er sei schon immer da
und er würde ewig bleiben.
Wird er sich uns jemals zeigen?

Weiß Gott, was wirklich ist mit ihm.
Sollen wir täglich niederknien?
Oder ist ihm das nicht wichtig?
Mein Gott, sag uns, wie ist es richtig.

Das Hoffnungslicht

Es braust das Wasser, schäumt die Gicht,
ein Seemann klammert sich ans Brett.
Den Horizont, den sieht er nicht,
er ist die Kugel, das Meer Roulette.

Die Finger weiß, die Lippen blau,
das Schwarz des Wassers zieht ihn an.
Der Seemann will zu seiner Frau,
doch er weiß, dass er’s nicht kann.

Sich jetzt einfach treiben lassen,
das Wasser atmen – dann nichts mehr.
Endlich die Entscheidung fassen,
das Leid wär‘ kurz, und nicht so schwer.

Da sieht der Seemann in der Ferne,
kaum auszumachen, was es war,
einen Schimmer, wie von einem Sterne.
Und als er die Augen schließt, ist es noch da.

Es ist ein Hoffnungslicht in seinem Herzen,
klein und fahl, so herrlich schlicht,
einen Moment vergisst er seine Schmerzen
und betrachtet nur noch dieses Licht.

Und es wird größer, stärker, hell,
bis es leuchtet wie der hellste Mond,
und ihm scheint, als ob ein Quell
unendlicher Kraft in seinem Herzen wohnt.

Bald verschwimmt dann der Wellen Klang,
und ganz langsam geht das Lichtlein aus.
Der Seemann geht den letzten Gang
und das Licht zeigt ihm den Weg nach Haus.