Theodor Storm: Knecht Ruprecht

„Knecht Ruprecht“ ist – zumindest in Teilen – wohl das berühmteste deutsche Weihnachtsgedicht. Im Jahre 1862 schrieb er die 32 Verse, die nach heutigem gewaltfreiem Standard so gar nicht mehr up-to-date sind, aber trotzdem Millionen Herzen jedjährlich erfreuen.

Dieses Gedicht gehört zu den bekanntesten Werken deutscher Lyrik – hier finden Sie mehr berühmte Gedichte.

Einige Tannen in verschneitem Wald, durch den auch der Knecht Ruprecht im Gedicht von Theodor Storm stapfen könnte.
Von drauß vom Walde komm ich her;
ich muß Euch sagen es weihnachtet sehr!
Foto von Grant Lemons auf Unsplash

Hier finden Sie den Text und einige Ideen dazu. Und hier finden Sie mehr Gedichte von Theodor Storm.

Und, falls Sie wollen: Einige kurze Weihnachtsgedichte, Weihnachtsgedichte für Karten und auch Weihnachtsgedichte für Kinder gibt es auch beim Gedichtefreund 🙂

Viel Spaß!

Das Gedicht

Ruprecht: Habt guten Abend, alt und jung
bin allen wohl bekannt genung.
Von drauß vom Walde komm ich her;
ich muß Euch sagen es weihnachtet sehr!
Allüberall auf den Tannenspitzen
sah ich goldene Lichtlein sitzen;
und droben aus dem Himmelstor
sah mit großen Augen das Christkind hervor.
Und wie ich so strolcht durch den finsteren Tann,
da rief’s mich mit heller Stimme an:
Knecht Ruprecht, rief es alter Gesell,
hebe die Beine und spute dich schnell!
Die Kerzen fangen zu brennen an,
das Himmelstor ist aufgetan,
Alt und Junge sollen nun
von der Jagd des Lebens einmal ruhn;
und morgen flieg ich hinab zur Erden,
denn es soll wieder weihnachten werden!
So geh denn rasch von Haus zu Haus.
such mir die guten Kinder aus,
damit ich ihrer mag gedenken
mit schönen Sachen sie mag beschenken.

Ich sprach: O lieber Herre Christ,
Meine Reise fast zu Ende ist.
Ich soll nur noch in diese Stadt,
Wo’s eitel gute Kinder hat.
Hast denn das Säcklein auch bei dir?

Ich sprach: Das Säcklein, das ist hier,
Denn Äpfel, Nuß und Mandelkern
freßen fromme Kinder gern.
Hast denn die Rute auch bei dir?

Ich sprach: die Rute die ist hier.
Doch für die Kinder, nur die schlechten,
die trifft sie auf den Teil, den rechten.
Christkindlein sprach: So ist es recht.
So geh mit Gott, mein treuer Knecht!
Von drauß, vom Walde komm ich her,
Ich muß euch sagen es weihnachtet sehr!
Nun sprecht wie ich’s hierinnen find:
sind’s gute Kind., sind’s böse Kind?

Vater: Die Kindlein sind wohl alle gut,
haben nur mitunter was trotzigen Mut.

Ruprecht: Ei, ei, für trotzgen Kindermut
ist meine lang Rute gut!
Heißt es bei Euch denn nicht mitunter:
Nieder den Kopf und die Hosen herunter?

Vater: Wie einer sündigt so wird er gestraft;
die Kindlein sind schon alle brav.

Ruprecht: Stecken sie die Nas auch tüchtig ins Buch,
lesen und scheiben und rechnen genug?

Vater: Sie lernen mit ihrer kleinen Kraft,
wir hoffen zu Gott, daß es endlich schafft.

Ruprecht: Beten sie denn nach altem Brauch
im Bett Ihr Abendsprüchlein auch?

Vater: Neulich hört ich im Kämmerlein
eine kleine Stimme sprechen allein;
und als ich an die Tür getreten,
für alle Lieben hört ich sie beten.

Ruprecht: So nehmet denn Christkindleins Gruß,
Kuchen und Äpfel, Äpfel und Nuß;
probiert einmal von seinen Gaben
morgen sollt ihr was beßeres haben.
Dann kommt mit seinem Kerzenschein
Christkindlein selber zu euch herein.
Heut hält es noch am Himmel Wacht;
nun schlafet sanft, habt gute Nacht.

Gedanken zum „Knecht Ruprecht“-Gedicht

Es waren natürlich andere Zeiten, als dieses Gedicht erfunden wurde: Nicht nur, dass der Weihnachtsmann noch gar keine Schnitte hatte – es waren eben nur Knecht Ruprecht und das Christkind da – nein, auch die angedrohte Gewalt ist heute nicht mehr zeitgemäß.

Es gibt ja soviele, gerade deutsche, Gedichte und Geschichten, die für ihre Brutalität gegen Kinder bekannt geworden sind. Der Struwwelpeter ist wahrscheinlich das bekannteste Beispiel, aber auch die ganzen Märchen der Brüder Grimm – wie erkläre ich eigentlich meinen Kindern, warum das Rumpelstilzchen sich in der Mitte entzwei reißt, warum verbrennt die Hexe im Ofen und warum muss die böse Schwiegermutter sich zu Tode tanzen? Kann es keine gewaltfreien Lösungen für Konflikte geben?

Und auch der Knecht Ruprecht. Er schlägt den Kindern die Rute auf den Hintern, wenn sie nicht artig waren. Ende des 19. Jahrhunderts war der Allgemeinheit nicht bekannt, dass auch „wohlverdiente“ Schläge ihre körperlichen, aber vor allem auch seelischen Spuren hinterließen; noch weniger, wie viele Kinder damals zu schwerem Schaden durch die Hand ihrer Eltern kamen.

Ganz insgesamt ist die Welt zum Glück friedfertiger geworden, und das entspricht ja auch dem Geist der Weihnacht: Friede. Nächstenliebe. Besinnlichkeit. Ist es nicht merkwürdig, dass unsere Gesellschaft vor etwas mehr als hundert Jahren kindlichen Ungehorsam noch ganz selbstverständlich mit Körperstrafen bedachte – und das auch noch im berühmtesten deutschen Weihnachtsgedicht?

So viele Bücher, Filme, generell kulturelle Werke wurden in den letzten Jahren hinsichtlich ihrer veralteten Ansichten neu betrachtet – sei es Rassismus, Feminismus – was auch immer. Diesen wurde der Stempel der „Cancel Culture“ aufgedrückt, und auch wenn ich die ganze Thematik nicht völlig klar und eindeutig finde und durchaus, gerade was die Veränderung von Kinderbüchern usw. angeht, Argumente beider Seiten in gewisser Weise verstehen kann: Die Auseinandersetzung mit der Thematik ist gut und richtig. Und kein Kind wird wirklich etwas verlieren, wenn bei Pippi Langstrumpf plötzlich ein unnötiges N-Wort weniger steht. Aber sehr viele Kinder, auch in Deutschland, haben etwas zu gewinnen, wenn sie nicht schon in ihrer Kindheit Opfer von Diskriminierung werden müssen, nur weil Großtante Auguste früher das N-Wort mitgelesen hat und Papa Carsten das nostalgisch verklärt ebenfalls mitlesen möchte.

Ich jedenfalls sage eines voraus (hier haben Sie es zuerst gehört): Auch bezüglich der Gewalt gegen Kinder wird sich einiges, auch retrospektiv ändern. Vielleicht wird auch der Knecht Ruprecht darunter „leiden“- vielleicht wird das Knecht Ruprecht – Gedicht irgendwann „gecancelt“ oder zumindest kritischer betrachtet. Im Sinne von Millionen Kinder in Deutschland wäre es durchaus in Ordnung, Gewalt gegen sie nicht zu verharmlosen und in Lyrik zu romantisieren.

Am Abend des 26. Dezember
Es leuchtet grün der Weihnachtskranz
Ich seh‘ ihn an und werde ganz
besonnen, ruhig, sentimental.
Und zünd ihn an, ein letztes Mal.

Lebkuchengedicht

Auf dem Lebkuchenherz steht dieses geschrieben:
(und man muss dazu sagen, dass sie es ihm glaubt)
„Ich werd‘ dich für immer und ewig lieben“
ein bisschen flunkern zur Weihnacht, auch das sei erlaubt.

Geschenkestress

Der Heilige Abend kommt dann zu früh
wenn müd‘ und gestresst am heiligen Morgen
Vater und Mutter in redlicher Müh‘
in großer Eil‘ noch Geschenke besorgen.

Nur ein kleines Weihnachtsgedicht

Dies ist nur ein kleines Weihnachtsgedicht.
So richtig stören tut es nicht.
Jedoch, vielleicht macht’s jemand froh
in Deutschland oder Mexiko.

Frommer Wunsch

Dies ist ein kleines Weihnachtsgedicht
für mich, für dich, für uns.
Wenn es auch scheint etwas schlicht
erfüllt’s dir einen Wunsch.
Dieser Wunsch ist wunderbar
und einfach bis zum Schluss:
Ich komm dir gerne etwas nah
für ne Umarmung und nen Kuss!

wald im sommer

die bäume spenden allen schatten:
vögeln, füchsen, mäusen, ratten

der förster schwitzt sich durch den tag
der hase nicht mehr rennen mag

die luft flirrt allseits durch die gegend
die sonne sinkt spät, sehr bewegend

der rehbock futtert heidelbeeren –
der sommer will’s ihm nicht verwehren

wald im herbst

die bäume biegen sich im wind
das eichhörnchen viel nüsse find

die blätter fallen auf die erde
mit verneinender gebärde

die pilze schießen hier und dort
die vögel fliehn nach süden fort

reh und rehbock hams vernommen:
es ist nun wohl der herbst gekommen

wald im winter

die bäume harren dürr und starr
wo einst noch laub und blattwerk war

die blätter liegen unterm schnee
der förster braucht jetzt warmen tee

der hase wandert tausend spuren
nutzlos sind die sonnenuhren

reh und rehbock friert’s am hintern –
so ist das halt in strengen wintern

wald im frühling

die bäume tun sich grün betupfen
der förster leidet an heuschnupfen

die knospen sprießen in den auen
froschmänner reiten auf froschfrauen

hasenkinder hoppeln heftig
die bärlauchwiese duftet kräftig

reh und rehbock springen umher –
durch blätterwald und blütenmeer