Theodor Fontane: Die Brück‘ am Tay

Die Brück‘ am Tay ist eines der bekanntesten Gedichte Theodor Fontanes, eines an bekannten Gedichten nicht armen Poeten aus dem vorvergangenen Jahrhundert. Hier lesen Sie die Geschichte des schottischen Schnellzuges, der im Jahre 1879 von der Firth-of-Tay-Brücke stürzte, dabei 75 Menschen in den Tod riss und eines der genialsten Stücke Lyrik der deutschen Gedichte inspirierte.

Dieses Gedicht gehört zu den bekanntesten Werken deutscher Lyrik – hier finden Sie mehr berühmte Gedichte.

„Tand, Tand
ist das Gebild von Menschenhand.“
Foto von Bjorn Snelders auf Unsplash

Hier finden Sie mehr Gedichte von Theodor Fontane.

Viel Spaß!

Das Gedicht

„Wann treffen wir drei wieder zusamm‘?“
„Um die siebente Stund‘, am Brückendamm.“
„Am Mittelpfeiler.“
„Ich lösch die Flamm‘.“
„Ich mit.“
„Ich komme vom Norden her.“
„Und ich vom Süden.“
„Und ich vom Meer.“

„Hei, das gibt ein Ringelreihn,
und die Brücke muß in den Grund hinein.“
„Und der Zug, der in die Brücke tritt
um die siebente Stund‘?“
„Ei, der muß mit.“
„Muß mit.“
„Tand, Tand
ist das Gebild von Menschenhand.“

Auf der Norderseite, das Brückenhaus –
alle Fenster sehen nach Süden aus,
und die Brücknersleut‘, ohne Rast und Ruh
und in Bangen sehen nach Süden zu,
sehen und warten, ob nicht ein Licht
übers Wasser hin „ich komme“ spricht,
„ich komme, trotz Nacht und Sturmesflug,
ich, der Edinburger Zug.“

Und der Brückner jetzt: „Ich seh einen Schein
am andern Ufer. Das muß er sein.
Nun, Mutter, weg mit dem bangen Traum,
unser Johnie kommt und will seinen Baum,
und was noch am Baume von Lichtern ist,
zünd alles an wie zum heiligen Christ,
der will heuer zweimal mit uns sein, –
und in elf Minuten ist er herein.“

Und es war der Zug. Am Süderturm
keucht er vorbei jetzt gegen den Sturm,
und Johnie spricht: „Die Brücke noch!
Aber was tut es, wir zwingen es doch.
Ein fester Kessel, ein doppelter Dampf,
die bleiben Sieger in solchem Kampf,
und wie’s auch rast und ringt und rennt,
wir kriegen es unter: das Element.

Und unser Stolz ist unsre Brück‘;
ich lache, denk ich an früher zurück,
an all den Jammer und all die Not
mit dem elend alten Schifferboot;
wie manche liebe Christfestnacht
hab ich im Fährhaus zugebracht
und sah unsrer Fenster lichten Schein
und zählte und konnte nicht drüben sein.“

Auf der Norderseite, das Brückenhaus –
alle Fenster sehen nach Süden aus,
und die Brücknersleut‘ ohne Rast und Ruh
und in Bangen sehen nach Süden zu;
denn wütender wurde der Winde Spiel,
und jetzt, als ob Feuer vom Himmel fiel,
erglüht es in niederschießender Pracht
überm Wasser unten… Und wieder ist Nacht.

„Wann treffen wir drei wieder zusamm‘?“
„Um Mitternacht, am Bergeskamm.“
„Auf dem hohen Moor, am Erlenstamm.“
„Ich komme.“
„Ich mit.“
„Ich nenn euch die Zahl.“
„Und ich die Namen.“
„Und ich die Qual.“
„Hei!
Wie Splitter brach das Gebälk entzwei.“
„Tand, Tand
ist das Gebilde von Menschenhand“

Gedanken zum Gedicht

Sind Sie schonmal mit dem Zug von Frankfurt-Flughafen nach Siegburg/Bonn gefahren? Die Antwort lautet ja, wenn sie vielleicht schonmal von Mannheim nach Köln unterwegs waren.

Wie auch immer, diese Strecke hat es in sich: Hügelige Landschaft, Wald, wenig Zivilisation, ab und zu eine Straße, auf der man aus der Ferne in Autos hockende Menschen erahnen darf.

Auf der Strecke reiht sich Tunnel an Tunnel an Tunnel, jeweils nur wenige hundert Meter lang. Und der Intercity-Express SCHIEßT durch diese Tunnel durch, dass es knallt. Und zwar mit 300 verdammten Stundenkilometern.

Das ist der beste – oder schlechteste – Moment, die „Brücke am Tay“ von Theodor Fontane zu lesen.

„Tand, Tand, ist das Gebilde von Menschenhand.“ 32 Jahre vor dem Untergang der Titanic, 122 Jahre vor dem Einsturz des World Trade Centers und was weiß ich wie viele Jahre vor den vielen, vielen technisch bedingten Unglücken der letzten Dekaden: Fontane hat uns früh gezeigt, was die Natur von den Errungenschaften der Menschen hält.

Fontane schrieb „Die Brücke am Tay“ nur wenige Tage nach dem Eisenbahnunglück in Schottland, dem Einsturz der „Firth-of-Tay“-Brücke am 28. Dezember 1879. 75 Menschen starben. Als Fontane dieses – im Übrigen sofort berühmt gewordene – Gedicht verfasste, war wenig über das Unglück bekannt. So schnell ein so geniales Gedicht über ein zeitgenössisches Ereignis zu schreiben – das ist nicht schlecht. Das ist wirklich nicht schlecht. Und die drei Hexen aus Shakespeares „MacBeth“ dafür zu nutzen – als Stellvertreter für die Mächte der Natur – ist ziemlich genial.

Und die letzte Strophe, als die „Hexen“ sich wieder verabreden, um über die Opfer, ihre Namen und ihre Qual zu reden: Das ist unglaublich düster und gut. Der Herr Fontane versteht sein Werk als lyrischer Beobachter historischer Ereignisse, wie er auch in „John Maynard“ zeigt, und anscheinend wie nebenbei (gemessen daran, wie schnell „Die Brücke am Tay“ nach dem Unglück erschien) hat er Gedichte verfasst, die 150 Jahre später zum Standardrepertoire von Deutschlehrer*innen bundeweit gehören – siehe auch der Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland.

Nun, ein weiteres geniales Gedicht aus seiner Feder haben wir hier betrachtet. Eine ausführlichere Interpretation lesen Sie zum Beispiel hier.

Ich hoffe nun, dass der Zug heil in Siegburg/Bonn ankommt. Vertrauen wir auf dieses 300 km/h schnelle Gebilde aus Menschenhand.

und wo sie schonmal da sind …

Limericks sind zwar irischem und nicht schottischen Ursprungs, ich erlaube mit trotzdem, einige hier zu platzieren.

Berlin

Es zog mal ein Zaubrer nach Berlin
Vielleicht war sein Vorname Merlin
wollte lernen dort zaubern
doch fing an zu zaudern
ging fortan nur noch clubben in Berlin.

München

Es war mal ein Stinker aus München
der konnt‘ seinen Geruch leider nicht übertünchen
er zögert nicht lang
in die Isar er sprang
und war der nasseste Stinker in München.

Rinteln

Es war mal ein Lügner aus Rinteln,
der konnt‘ wie kein Anderer schwindeln.
Sein fiesester Spuk
war dieser Betrug:
Es gäb‘ keine Stadt namens Rinteln.