Theodor Fontane: John Maynard

„John Maynard“ ist eines der berühmtesten Gedichte Theodor Fontanes. Die Ballade wurde erstmals 1886 veröffentlicht und handelt vom titelgebenden Helden, dem Steuermann eines Passagierschiffes auf dem Eriesee, der das brennende Schiff unter Einsatz seines Lebens nach Buffallo steuerte.

Dieses Gedicht gehört zu den bekanntesten Werken deutscher Lyrik – hier finden Sie mehr berühmte Gedichte.

Das Bild eines flachen Sees mit einigen umgebenden Wäldern. Nicht der Eriesee, und trotzdem sinnbildlich für John Maynards heldenhaftes Gedicht.
Hier ruht John Maynard! In Qualm und Brand
hielt er das Steuer fest in der Hand.

Foto von Emma Harper auf Unsplash

Hier finden Sie den Text des Gedichts sowie eine kurze Interpretation. Das wohl berühmteste Gedicht Fontanes, Herr von Ribbeck, haben wir auch zu bieten, genau wie „Die Brücke am Tay“. Und hier finden Sie noch mehr Gedichte von Theodor Fontane.

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Viel Spaß!

Das Gedicht

John Maynard!
„Wer ist John Maynard?“
„John Maynard war unser Steuermann,
aushielt er, bis er das Ufer gewann,
er hat uns gerettet, er trägt die Kron‘,
er starb für uns, unsre Liebe sein Lohn.
John Maynard.“

Die „Schwalbe“ fliegt über den Erie-See,
Gischt schäumt um den Bug wie Flocken von Schnee;
von Detroit fliegt sie nach Buffalo –
die Herzen aber sind frei und froh,
und die Passagiere mit Kindern und Fraun
im Dämmerlicht schon das Ufer schaun,
und plaudernd an John Maynard heran
tritt alles: „Wie weit noch, Steuermann?“
Der schaut nach vorn und schaut in die Rund:
„Noch dreißig Minuten … Halbe Stund.“

Alle Herzen sind froh, alle Herzen sind frei –
da klingt’s aus dem Schiffsraum her wie Schrei,
„Feuer!“ war es, was da klang,
ein Qualm aus Kajüt und Luke drang,
ein Qualm, dann Flammen lichterloh,
und noch zwanzig Minuten bis Buffalo.

Und die Passagiere, bunt gemengt,
am Bugspriet stehn sie zusammengedrängt,
am Bugspriet vorn ist noch Luft und Licht,
am Steuer aber lagert sich´s dicht,
und ein Jammern wird laut: „Wo sind wir? wo?“
Und noch fünfzehn Minuten bis Buffalo. –

Der Zugwind wächst, doch die Qualmwolke steht,
der Kapitän nach dem Steuer späht,
er sieht nicht mehr seinen Steuermann,
aber durchs Sprachrohr fragt er an:
„Noch da, John Maynard?“
„Ja, Herr. Ich bin.“

„Auf den Strand! In die Brandung!“
„Ich halte drauf hin.“
Und das Schiffsvolk jubelt: „Halt aus! Hallo!“
Und noch zehn Minuten bis Buffalo. – –

Noch da, John Maynard?“ Und Antwort schallt’s
mit ersterbender Stimme: „Ja, Herr, ich halt’s!“
Und in die Brandung, was Klippe, was Stein,
jagt er die „Schwalbe“ mitten hinein.
Soll Rettung kommen, so kommt sie nur so.
Rettung: der Strand von Buffalo!

Das Schiff geborsten. Das Feuer verschwelt.
Gerettet alle. Nur einer fehlt!
Alle Glocken gehn; ihre Töne schwell’n
himmelan aus Kirchen und Kapell’n,
ein Klingen und Läuten, sonst schweigt die Stadt,
ein Dienst nur, den sie heute hat:
Zehntausend folgen oder mehr,
und kein Aug‘ im Zuge, das tränenleer.

Sie lassen den Sarg in Blumen hinab,
mit Blumen schließen sie das Grab,
und mit goldner Schrift in den Marmorstein
schreibt die Stadt ihren Dankspruch ein:

Hier ruht John Maynard! In Qualm und Brand
hielt er das Steuer fest in der Hand,
er hat uns gerettet, er trägt die Kron,
er starb für uns, unsre Liebe sein Lohn.
John Maynard.“

Eine sehr kurze Interpretation

John Maynard ist der Held dieser Geschichte, und vielleicht der Held der Arbeit.

Unerschrocken hält er das Steuer fest, lässt dabei sein Leben. Vielleicht soll er darauf hinweisen, was ein einzelner Mensch zu schaffen vermag, wenn er alles für das Wohl Anderer auf’s Spiel setzt. Und wie so eine Person zum Helden werden kann: Wo es in der ersten Strophe noch, gleich zu Beginn, heißt: „Wer ist John Maynard?“ – ein Unbekannter, ein undedeutender Steuermann, so wird dieser durch seine Tat zu einem Bekannte, einem bedeutungsvollen Menschen nicht nur für die Überlebenden, sondern auch für die ganze Stadt, in der er begraben ist. Und sogar, zumal diese Ballade auf einer wahren Gegebenheit beruht, weit über Buffalo hinaus. Er wird zum König – „trägt die Kron'“- und „unsere“ Liebe ist sein Lohn.

Vielleicht will er auch das Sinnbild des modernen Menschen sein, der für die Arbeit und das Wohlergehen der Firma alles opfert, was er hat. Sicher gehört das Schiff, das er über den Eriesee steuert, einer Firma, für die er angestellt ist. Vielleicht ist John Maynard ein hervorragender Schwimmer, vielleicht hätte er selbst – vielleicht auch mit Hilfe eines Beiboots – sich retten können, während die anderen ins Verderben schwammen. Jedoch nur er konnte das Boot steuern, nur er konnte dafür sorgen, dass andere überlebten. Aber hat er das einfach nur aus Pflichtbewusstsein getan? War es vielleicht buchstäblich nur „sein Job“? Auch wenn man diese Interpretation der Geschichte immer wieder liest – für mich spricht nichts direkt im Gedicht gesagtest für diesen Hintergrund.

Ich erinnere mich gut an die Kritik eines Mitschülers, der – im Deutschunterricht nicht gerade begabt – einmal der Deutschlehrerin gegenüber behauptete, im Unterricht würden Gedichte und Texte „totseziert“. Abgesehen davon, dass Dinge, die seziert werden, in der Regel immer schon tot sind: Dies sehe ich als Gedichtliebhaber natürlich ganz anders. Die genaue Betrachtung von Inhalt und Form eines Gedichts kann diesem erst Leben einhauchen, das über die oberflächliche Patina herausgeht.

Jedoch, sind wir ehrlich:

„John Maynard“ funktioniert tatsächlich ausnahmsweise gut, auch ohne dass es „totinterpretiert“ wird. Es ist eine gewaltige, aufregende Geschichte, die in wenigen Zeilen aus einer angenehmen Dampferfahrt eine Katastrophe macht und eine Heldengeschichte, die auf wenigen Dutzend Zeilen entkorkt und genossen wird.

Sollten Sie sich für eine tiefergehende Beschreibung oder Interpretation der Geschehnisse interessieren, verweise ich gerne auf die Interpretation bei der Lyrik-Datenbank Antikörperchen.

Das Leben ist wohl wie ein Schiff:
Mal sind die Wellen hoch, mal nicht so sehr.
Mal verläuft es flach. Mal stößt man auf ein Riff.
Mal flüchtet man, mal setzt man sich zur Wehr.
Mal stürmt es, mal peitscht der Regen,
mal hat man sich den ganzen Tag gesonnt.
Es ist nie still, man muss sich stets bewegen
und stets den Blick zum allerletzten Horizont.
Dort fährt’s am Ende ein in einen Hafen,
und keiner ahnt – was wird uns dort erwarten?
Man weiß nicht: vielleicht kann man endlich schlafen
oder in ein gänzlich neues Abenteuer starten.

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Trauergedicht

Ein Schnee fliegt leise in das Land.
Lässt sich nieder, hüllt uns ein.
Lässt uns atmen, wäscht uns rein.
Und wen von uns die Trauer fand,
den lässt er einfach sein.

Haltet einander die Hände

Haltet einander die Hände.
Lasst sie nicht los, fühlt eure Haut,
ihr seid jetzt Bräutigam und Braut,
bis zum Ende.

Haltet einander die Hände.
Schaut euch jetzt an, seht eure Augen
ihr werdet für immer aneinander glauben
bis zum Ende.

Haltet einander die Hände.
Geht jetzt zusammen, geht jetzt gemeinsam,
geht eures Weges, doch nie wieder einsam,
bis zum Ende.

Haltet einander die Hände.

Sich entfernen

Nichts auf Erden bringt zugleich
so viel Freud und Leid, wie ein Blick zu den Sternen.
Wenn uns bewusst wird unser aller Leben ärgster Streich:
dass wir uns nur nähern, um uns wieder zu entfernen.

Die alte Eiche

Auf dem Friedhof steht eine alte Eiche.
Jedes Jahr wirft sie tausend Eicheln ab.
Ab und zu kommt eine neue Leiche,
und man legt sie unter ihr ins Grab.

Der Friedhofsgärtner kommt recht häufig
und rupft junge Eichen raus.
Er tut das ganz und gar beiläufig,
so als machte es ihm gar nichts aus.

So versucht die alte Eiche immer wieder
neue Eichen zu erstellen.
Der Gärtner knüppelt ihre Träume nieder,
so könnt er gleich auch sie mitfällen.

Jedoch, man muss der Eiche lassen
sie gibt die Hoffnung niemals auf
Wird jed‘s Jahr neue Kräfte fassen
und Eicheln abwerfen zuhauf.