Heinrich Heine: Die Loreley

Die „Loreley“ ist eines der berühmtesten deutschen Gedichte und handelt vom gleichnamigen Felsen im Rhein, der dem Dichter wie eine wunderschöne Jungfrau erscheint – und dem ein Schiffer in seinem kleinen Kahn zum Verhängnis wird.

Dieses Gedicht gehört zu den bekanntesten Werken deutscher Lyrik – hier finden Sie mehr berühmte Gedichte.

Ein Fluss, es könnte der Rhein sein, der wie im Loreley-Gedicht zwischen hohen Bäumen wild daher fließt.
Ich weiß nicht, was soll es bedeuten,
dass ich so traurig bin.

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Hier finden Sie den Text des Gedichts und einige Gedanken dazu. Hier gibt es mehr Gedichte von Heinrich Heine.

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Viel Spaß!

Das Gedicht

Ich weiß nicht, was soll es bedeuten,
dass ich so traurig bin;
ein Märchen aus alten Zeiten,
das kommt mir nicht aus dem Sinn.

Die Luft ist kühl und es dunkelt,
und ruhig fließt der Rhein;
der Gipfel des Berges funkelt
im Abendsonnenschein.

Die schönste Jungfrau sitzet
dort oben wunderbar;
ihr goldnes Geschmeide blitzet,
sie kämmt ihr goldenes Haar.

Sie kämmt es mit goldenem Kamme
und singt ein Lied dabei;
das hat eine wundersame,
gewaltige Melodei.

Den Schiffer im kleinen Schiffe
ergreift es mit wildem Weh;
er schaut nicht die Felsenriffe,
er schaut nur hinauf in die Höh.

Ich glaube, die Wellen verschlingen
am Ende Schiffer und Kahn;
und das hat mit ihrem Singen
die Lore-Ley getan.

Gedanken zum Gedicht

Der moderne, mitteldeutsche Betrachter könnte sich fragen: Warum zum Henker hat gerade dieses Loreley-Gedicht eine so unwahrscheinliche Berühmtheit erlangt? Hatten die damals kein Netflix?

Tatsächlich ist, aus heutiger Sicht, der Spannungsbogen der Geschichte wenig ausgeprägt. Da ist jemand etwas melancholisch und denkt über ein altes Märchen nach (allein das schon! Welcher Erwachsene denkt denn bitteschön über Märchen nach?), zeichnet das etwas schwülstige Bild des abendlichen Rheines und besingt dann in aller Kürze eine schöne Frau. Diese ist so schön, dass ein kleiner Kapitän auf seinem kleinen Bötchen den nächsthöheren Felsen nicht sieht und kurzerhand zerscheppert.

Und das war’s auch schon.

Kein Cliffhanger, keine Rückblende und Verweise auf früher Geschehens, ein sehr einsames Casting mit nur zwei Personen (und eine ist starr wie ein Felsen), schöne Frau, Boot sinkt, Geschichte aus. Nicht mal die Backstory des Schiffers ist bekannt. Was steht für ihn auf dem Spiel? Wer erwartet ihn zuhause? War es schon zuvor sein Laster, dass er bei schönen Frauen allen Sinn für Wichtiges verliert, und welch böses Spiel spielte er zuvor (vielleicht in einer früheren Staffel), dass er den sicheren Tod in des Rheines Fluten verdient?

Und abgesehen von der dürftigen Story: Sagte man im 18. Jahrhundert wirklich noch „Melodei“ statt Melodie, oder warum kommt einer der „größten und besten Dichter der deutschen Geschichte“ ungestraft damit durch, „dabei“ auf „Melodei“ zu reimen? Das können die Marterias und Delays und wie sie alle heißen aber tausend Mal besser. Sind die in 300 Jahren noch etwas wert?

So ganz erschließt sich einem die Geschichte nicht. Einzige Möglichkeiten: Es ist entweder das Gesamtwerk, was Heine so groß hat werden lassen; oder es gab damals einfach nichts anderes; oder er war einfach einer der ersten, die überhaupt in dieser Form gereimt haben – immerhin kommen auch die Rothkos dieser Welt damit durch, einen blauen Kasten zu malen und sich damit unsterblich zu machen.

Wie dem auch sei: Die Loreley gilt auch weiterhin als eines der wichtigsten deutschen Gedichte. Wenn Sie verstehen, warum – ich freue mich über Ihre Gedanken!

Hier noch ein paar Berggedichte aus der Feder des Gedichtefreunds.

Über’s Land

Wer dies nicht kennt –
wer niemals auf dem Gipfel stand,
der weiß nicht, wie es ist,
wenn der Blick zum Horizont sich spannt.

Denn der Horizont ist weiter –
erstreckt sich ganz bis an den Rand.
es ist, als ob ein ferner Reiter
den Weg zum Himmel endlich fand.

Und tritt man dann zurück ins Tal
wo alles eng und unentspannt
dann sehnt man sich zurück hinauf
den Blick zu schweifen
über’s Land.

Am Ende der Kräfte

Er kraxelt und schwitzt
er klettert und sitzt
nur kurz, um zu verschnaufen.
Muss sich zusammenraufen,
noch höher zu gehen.
Kann kaum mehr stehen
muss Götter anflehen,
kann nicht mehr zurück.
Aber es ist noch ein Stück.
Hat Blut in den Schuhen
muss irgendwo ruhen
er schaut hinauf
es sieht nicht gut aus.
Das Unten ist nicht
wirklich gar nicht in Sicht
und ganz langsam bricht
in ihm hinauf die Idee:
„Dass ich sie niemals wieder seh“.
Mit letzter Kraft greift er
in Verzweifelung streift er
die Angst und die Wut von sich ab.

Und
dann
fällt
er
hinab.

Kleines Berggedicht

Kein Ton.
Kein einziger Ton,
außer Wind.
Kein schreiendes Telefon,
kein weinendes Kind.
Kein Ton.
So still, wie nur die Berge sind:
Des langen Aufstiegs Lohn.