Johann Wolfang von Goethe: Erlkönig

Der „Erlkönig“ ist das vielleicht berühmteste Gedicht von Johann Wolfgang von Goethe – vielleicht sogar eines der bekanntesten und beliebtesten deutschen Gedichte überhaupt. Es stammt aus dem Jahr 1782 und erzählt von einem Vater und seinem Sohn, die durch den nächtlichen Wald reiten – einen Ritt, den das Kind nicht überlebt.

Dieses Gedicht gehört zu den bekanntesten Werken deutscher Lyrik – hier finden Sie mehr berühmte Gedichte.

Ein düsterer Wald mit moosbedeckten, krummen Bäumen, wie es in Wald von Goethes Erlkönig auch ausgesehen haben könnte.
Mein Vater, mein Vater, und siehst du nicht dort
Erlkönigs Töchter am düstern Ort?
Foto von Donald Giannatti auf Unsplash

Hier finden Sie den Text des Gedichts sowie ein paar kurze Gedanken. Hier finden Sie ein Parallelgedicht und hier mehr Gedichte von Johann Wolfgang von Goethe.

Lesen Sie hier mehr Gedichte über die Natur.

Viel Spaß!

Das Gedicht

Wer reitet so spät durch Nacht und Wind?
Es ist der Vater mit seinem Kind;
Er hat den Knaben wohl in dem Arm,
Er fasst ihn sicher, er hält ihn warm.

Mein Sohn, was birgst du so bang dein Gesicht? –
Siehst, Vater, du den Erlkönig nicht?
Den Erlenkönig mit Kron’ und Schweif? –
Mein Sohn, es ist ein Nebelstreif. –

„Du liebes Kind, komm, geh mit mir!
Gar schöne Spiele spiel’ ich mit dir;
Manch’ bunte Blumen sind an dem Strand,
Meine Mutter hat manch gülden Gewand.“ –

Mein Vater, mein Vater, und hörest du nicht,
Was Erlenkönig mir leise verspricht? –
Sei ruhig, bleibe ruhig, mein Kind;
In dürren Blättern säuselt der Wind. –

„Willst, feiner Knabe, du mit mir gehn?
Meine Töchter sollen dich warten schön;
Meine Töchter führen den nächtlichen Reihn
Und wiegen und tanzen und singen dich ein.“ –

Mein Vater, mein Vater, und siehst du nicht dort
Erlkönigs Töchter am düstern Ort? –
Mein Sohn, mein Sohn, ich seh’ es genau:
Es scheinen die alten Weiden so grau. –

„Ich liebe dich, mich reizt deine schöne Gestalt;
Und bist du nicht willig, so brauch’ ich Gewalt.“ –
Mein Vater, mein Vater, jetzt fasst er mich an!
Erlkönig hat mir ein Leids getan! –

Dem Vater grauset’s; er reitet geschwind,
Er hält in Armen das ächzende Kind,
Erreicht den Hof mit Mühe und Not;
In seinen Armen das Kind war tot.

Ein paar Gedanken zum Gedicht

Es ist interessant, dass Deutschlands wohl bekannteste Ballade so viel Spielraum lässt, der scheinbar vom Autoren selbst nie gefüllt wurde.

Welcher Interpretation glauben Sie am ehesten?

  • Der Junge ist schwer erkrankt und sieht in seinen Fieberträumen die unheimliche, gespenstische Gestalt des Erlkönigs. Es ist die Krankheit, die ihn am Ende tötet.
  • Es geht um Naturmagie – demnach ist der Erlenkönig tatsächlich als magisches Wesen dort „vor Ort“ und ruft den Jungen in sein Reich.
  • Es geht um sexuellen Missbrauch. Der Erlkönig steht hierbei für den Täter, der dem Jungen „ein Leids getan“ hat – der Vater als die Person, die (wie in der Realität) den Missbrauch nicht wahrhaben will.
  • Der Erlkönig repräsentiert das Ende der Kindheit des Jungen in der Pubertät. Er sieht sich zu den „Töchtern“ hingezogen, und als am Ende des Ritts das „Kind tot“ ist, bezieht sich das eben auf sein Kindsein, den Beginn des Erwachsenenlebens.

Auch in den Gedanken zu anderen berühmten Gedichten weise ich gerne auf meinen alten Klassenkameraden A. hin, der der Meinung war, ein Gedicht (oder eine Art Prosa) gehöre nicht interpretiert, da man das Werk dadurch zerstöre. Meist sei ein blauer Stuhl, auf dem ein lyrisches Ich sitze, ja eh nur ein blauer Stuhl, er repräsentiere mitnichten die traurige Einsamkeit, der die Person ausgesetzt ist.

Diese Meinung teile ich natürlich nicht: Erst durch die Interpretation – die ja nichts anderes ist, als sich über ein Werk Gedanken zu machen – bekommt ein Gedicht Leben und wird zu mehr, als schön klingenden Worten. (Wobei auch schön klingende Worte allein ihren Wert haben).

Aber beim Erlkönig tue ich mir immer schwer mit einer für mich zufriedenstellenden Interpretation. Für all die Möglichkeiten oben gibt es Hinweise, die durchaus Sinn machen, aber nicht der gesamte Text lässt sich (in meinen Augen) dahingehend betrachten. Klar, Pubertät und das „Kind ist tot“, fast schon witzig anzusehen, aber warum dann diese Ernsthaftigkeit, und was tut der Erlkönig ihm für ein Leid? Und ja, so ließe sich auch der sexuelle Missbrauch betrachten: Das Kind verliert seine Unschuld, ist „tot“ – aber warum sollen die Töchter ihn dann reizen?

Tatsächlich ist meine persönliche Interpretation nah an der ersten: Das Kind – wir wissen ja nicht einmal, wie alt es ist – auf dem Arm des Vaters, sich durch eine schwere Krankheit dem Tode nähernd, sieht in seinen Fieberträumen ein Monster. Es kann nicht begreifen, was vor sich geht, es weiß nicht, was es bedeutet, krank zu sein, es weiß nicht, wie ihm geschieht – und sein fieberndes Gehirn füllt die Leerstellen mit dem was es kennt: Der kindlichen Fantasie, die, soviel habe ich in den ersten fünf Jahren als Vater gelernt, leider durchaus sehr viel mit Monstern, Gespenster und andererlei Ungeheuern zu tun hat.

Leider kann man Goethe nicht mehr fragen – und man muss es ja auch nicht. Der Erlkönig ist ein schauriges Gedicht, das gerne für sich so stehen bleiben darf.

Hier haben Sie noch den Zauberlehrling von Goethe, wenn Sie gerade in Stimmung sind, oder auch Schillers Lied von der Glocke, wenn Sie Zeit haben.

Schaurig schaudert es die Schlange
Boris Karloff wird es bange
grausig gruselt’s auch den Ghoul
der Rattenkönig rutscht vom Stuhl.

Mutig murrt erst noch die Mumie
doch kauert dann hinter Petunie
ängstlich ächzt der Echsenmeister
garstig grün werden die Geister.

Alle Monster und Monstretten
verstecken sich in ihren Betten
das Gespenst weint ängstlich „Buhuhu“ –
denn in den Monsterraum trittst du.

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Wo Sie schon mal hier sind …

Vielleicht bleiben Sie noch ein Weilchen beim Gedichtefreund? Hier ein Vorgeschmack auf ein paar Gedichte unterschiedlicher Genres.

Zur Geburt eines Sohnes

Vielleicht wird er stark, vielleicht auch mal schwach.
Vielleicht prescht er stets vor, oder denkt oft viel nach.
Vielleicht mag er Sport, oder liest vielleicht gerne.
Vielleicht gräbt er gern Löcher, oder schaut in die Sterne.
Wie auch immer er wird – er geht seinen Weg.
Ich wünsche: Dass ihr ihn darauf begleitet,
aber nicht darin steht.

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Gedicht für den Fuchs vom Wolf

Fuchs, du hast die Gans gestohlen
was willst du nur mit ihr?
Was willst du nur mit ihr?
Nimm dir doch lieber ein Fohlen
da ist mehr dran für dir.
Nimm dir doch lieber ein Fohlen
da bleibt auch was für mir.

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Wenn das Leben eine Wolke wär

Wenn das Leben eine Wolke wäre
könnte man dann auf ihr sitzen
könnte man auf ihr eine Himbeere
mit Eis essen, und schwitzen?

Wenn ja, dann nähm‘ ich dieses Leben an
denn ich mag Himbeeren und Eis
mir ist schon klar, dass man auch fallen kann
doch auf Wolken, glaub ich, fällt man leis.

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27.03.2022 – Am Meer

Am Meer:
Möwen.
Tochter sagt Löwen.
Ist nicht richtig
aber auch nicht so wichtig.
Zum Meer warn wir erst ein, zwei Male
doch wichtiger ist Pommes-Schale.
Möwe kommt und kreischt
begibt sich in Töchterleins Gelände
bis Tochter sie behende
in die Füße beißt.
Möwes Aha-Moment:
Wenn man das Kind nicht kennt
Nicht die Pommes klauen.
Sonst wird es, egal ob Möwe oder Löwe,
dich eventuell verhauen.