Johann Wolfgang von Goethe: Prometheus

Goethes „Prometheus“ ist eines der bekanntesten lyrischen Werke des großen deutschen Dichters. Darin klagt der namesgebende Titan den Göttervater Zeus an, seinen ewigen Widersacher, und mit ihm alle Götter.

Dieses Gedicht gehört zu den bekanntesten Werken deutscher Lyrik – hier finden Sie mehr berühmte Gedichte.

Später wurde Prometheus dann von Zeus dazu verurteilt, dass ihm ein Adler seine sich immer neu regenierende Leber auffraß. Noch später begnadigte ihn Zeus, nachdem Herakles den Adler mit einem Pfeil erlegte. Späte Einsicht, oder hatte Zeus etwa einfach keine dressierten Adler mehr übrig?
(„Prometheus, beklagt von den Okeaniden“, Eduard Müller, Alte Nationalgalerie Berlin)
Foto von Christian Paul Stobbe auf Unsplash

Hier finden Sie das Gedicht, sowie einige kurze Gedanken dazu. Falls Sie mehr Goethe wollen, haben wir hier eine Sammlung seiner wichtigsten Gedichte.

Viel Spaß!

Das Gedicht

Bedecke deinen Himmel, Zeus,
Mit Wolkendunst
Und übe, dem Knaben gleich,
Der Disteln köpft
An Eichen dich und Bergeshöhen!
Mußt mir meine Erde
Doch lassen stehen
Und meine Hütte die du nicht gebaut,
Und meinen Herd,
Um dessen Glut
Du mich beneidest.

Ich kenne nichts Ärmeres
Unter der Sonn als euch, Götter!
Ihr nähret kümmerlich
Von Opfersteuern
Und Gebetshauch
Eure Majestät
Und darbtet, wären
Nicht Kinder und Bettler
Hoffnungsvolle Toren.

Da ich ein Kind war,
Nicht wußte, wo aus noch ein,
Kehrt ich mein verirrtes Auge
Zur Sonne, als wenn drüber wär
Ein Ohr, zu hören meine Klage,
Ein Herz wie meins,
Sich des Bedrängten zu erbarmen.

Wer half mir
Wider der Titanen Übermut?
Wer rettete vom Tode mich,
von Sklaverei?
Hast du nicht alles selbst vollendet,
Heilig glühend Herz?
Und glühtest jung und gut,
Betrogen, Rettungsdank
Dem Schlafenden da droben

Ich dich ehren? Wofür?
Hast du die Schmerzen gelindert
Je des Beladenen?
Hast du die Tränen gestillet
Je des Geängsteten?
Hat nicht mich zum Manne geschmiedet
Die allmächtige Zeit
Und das ewige Schicksal,
Meine Herrn und deine?

Wähntest du etwa,
Ich sollte das Leben hassen,
In Wüsten fliehen,
Weil nicht alle Blütenträume reiften?

Hier sitz ich, forme Menschen
Nach meinem Bilde,
Ein Geschlecht das mir gleich sei,
Zu leiden, zu weinen,
Zu genießen und zu freuen sich
Und dein nicht zu achten,
Wie ich!

Erwägungen, Überlegungen

Erwarten Sie hier keine ausufernde Interpretation des Gedichts – das macht wie immer das Antikörperchen besser.

Um Goetes „Prometheus“ richtig zu verstehen, muss man wohl die griechische Mythologie ganz gut kennen. Man muss sie aber auch nicht kennen, um zwei Dinge zu sehen (von denen man eines aber wiederum nur dann sehen kann, wenn man ganz genau hinschaut). Starten wir mal mit dem Mythologie-Teil.

Prometheus war also einer der Titanen, Kind zweier der ältesten griechischen Götter, Uranos und Gaia. Ersterer personifizierte Gottheit des Himmels, zweitere der Erde an sich. Beide direkt aus dem „Chaos“ geboren. Wow.

Die Titanen herrschten über die Erde, als die Menschen sich in ihrem „goldenen Zeitalter“ befanden, also in einer Epoche, als es keinen Krieg, keine Verbrechen und Missmut usw. gab und die Menschen der Natur noch nahestanden. Muss eine gute Zeit gewesen sein. Prometheus mochte diese Menschen, wird auch als „Freund der Menschen“ bezeichnet.

Es kam zu einem großen Krieg zwischen den Titanen und den „neuen Göttern“, die von Zeus angeführt wurden. Prometheus war ein eher neutraler Vertreter in diesem Kampf, was ihm zugute kam, denn als die neuen Götter den Krieg gewannen, wurden die Titanen in eine Art Unterwelt verbannt, wo sie von hundertärmigen Wesen bewacht werden. Prometheus blieb frei. Später aber wurde er dann von Zeus dazu verurteilt, dass ein Adler ihm immer wieder seine sich selbst heilende Leber auffraß.

Okay, wir hören hier mal auf mit der Mythologie. Ich habe nämlich keine Ahnung davon und schon die ersten zwei Wikipedia-Artikel, die ich dazu lese scheinen sich zu widersprechen. Zum Glück müssen wir die Mythologie auch gar nicht so genau kennen, um die anderen beiden Dinge zu bemerken.

Erstens:

Prometheus ist ganz schön frech ggü. Zeus in diesem Gedicht. Nicht nur erniedrigt er ihn als „Kind“ (siehe ganz am Anfang, der Vergleich zwischen den Disteln und den Eichen), er stellt auch fest, dass er selbst derjenige ist, der über sich herrscht („Hast du nicht alles selbst vollendet, / Heilig glühend Herz?“) – und nicht irgendein Gott. Auch nicht der Göttervater.

Zweitens (etwas schwerer zu erkennen):

Goethe ist auch ganz schön frech ggü. den Göttern – oder dem „einen“ Gott, den wir heute kennen und vereinfachend „Gott“ nennen. Glauben Sie nicht? Vielleicht stimmt es auch nicht. Aber

„Ich kenne nichts Ärmeres
Unter der Sonn als euch, Götter!
Ihr nähret kümmerlich
Von Opfersteuern
Und Gebetshauch“

Wenn das nicht auch den heutigen – bzw. den Gott aus Goethes Zeiten anspricht – was sonst?

Nun, das sind nur kleine Anregungen zum Selberweiterdenken. Obschon Gedichtefreund und obschon der Feder des größten deutschen Dichters entspringend, war mir der „Prometheus“ weitgehend unbekannt. Ein häufig angeschautes Werk in deutschen Oberstufen, ist es doch dem vorübergehenden Betrachten nicht so eingängig wie andere, „Wandrers Nachtlied“ beispielsweise, oder „Der Fischer„. Jedoch, und auch das ist wahr – je häufiger ich es lese, desto stärker wirkt es, desto klarer sehe ich, warum auch diese Zeilen noch mehr als zweihundert Jahre später so häufig gelesen werden.

Wieder einmal regt das Befassen mit Lyrik dazu an, sich weiter mit Lyrik zu befassen, zumindest mich. Wie geht es Ihnen?

Wo Sie schon mal hier sind …

Kein Zurück

Mit jed‘ verwelktem Blatt verrinnt er
der Herbst, muss sich beeilen, denn mitnichten
hat er schon erzählt alle Geschichten.
Mit den allerletzten Fäden spinnt er
unsre Mär‘ zu Ende, ehe kommt der Winter.

Und wie hieß es längst, wir müssten schauen
dass wir Freunde haben, nicht allein zu sein.
Wir würden uns in diesem Jahr kein Haus mehr bauen
und wenn Wind und Regen alles rauen
würden trockne Blätter reiben auf unsrer nackten Haut.
Drum atmet nochmal kräftig ein
die feuchte Luft, so wird euch scheinen
sie wird euch mit euch selbst vereinen.
Wagt es ruhig, ihm nachzuweinen
trinkt noch einmal seinen Wein.

Denn ist der Winter erst gekommen
gibt es nie mehr ein Zurück.
Der letzte Rest wird uns genommen
es ist des Jahres schwerstes Stück.
Alle Bilder sind am Jahresend‘ verschwommen.
Und dann ist alles wieder neu.
Zum Glück.

Ein Mann verweht

Herr Kortekamp hat festgestellt:
Etwas ist anders, als es jüngst gewesen.
Es hat sich was verändert auf der Welt
in der Zeitung konnte man nichts davon lesen.

Zum Beispiel, glaubt er, riecht es morgens kälter –
nach Farbe, Reif und klammen Füßen.
Das Jahr sieht für ihn aus als würd‘ es älter.
Der Winter scheint von fern zu grüßen.

Zwischen Tropfentau und Sonnengold
warten Spinnen in den Netzen
mit erstaunlicher Hoffnung und Geduld
auf allerletzte Fliegenfetzen.

Äpfel liegen zu hunderten im Garten
waren die gestern nicht noch grün?
Er muss gar nicht mal so lange warten
dann kann er Eichhörnchen die Nüsse sammeln sehn.

Abends fängt es früher an zu düstern
und in den dunkelgrünen Wegen
fliegt herum ein leises Flüstern.
Es sucht sein Ziel, versucht zu schweben,
geht dort hin, wo er jetzt noch steht –
bis es mit ihm im Wind verweht.

Leg los!

Man sagt, du seist so golden.
Man sagt, du bringst noch etwas Sonn‘.
Du wärest allen, selbst Unholden,
des Jahres letztes Sahnbonbon.

Dann leg mal los, lieber September!
Bisher bist du ziemlich kalt.
Sei noch einmal Wärmespender
bevor der Winter sich uns krallt.